6. What?


Lachend folgte ich July zu der Tablettrückgabe. Jayden nahm maulend auch das Tablett seines Freundes und kam mir hinterher. Gemeinsam gingen wir drei in Richtung der Sporthalle. Jayden mit dem linken Arm um Julys Schultern und mit dem rechten arm um meine Schultern. Mit sich sichtlich zufrieden grinste er wie ein Honigkuchenpferd. Er fand sich anscheinend besonders cool. Es amüsierte mich ihn so zu sehen, also ließ ich ihn gewähren. In der Sporthalle angekommen, trennten sich wieder unsere Wege in die Umkleiden.
"Hey, Rose, kannst du überhaupt mitmachen?", fragte July in der Umkleide.
"Nein", schüttelte ich den Kopf. "Heute noch nicht."
"Oh, heißt das du wirst nur zusehen?"
"Keine Ahnung", zuckte ich die Schultern.
Gemeinsam gingen wir in die Sporthalle. Thomas war noch nicht da, also bildeten sich Gruppen und hier und da wurde geplaudert. Schließlich kam Tom zur Tür herein und bemerkte mein Outfit.
"Wieso sind Sie nicht umgezogen?"
"Ich hatte gestern einen Unfall und Dr. Kell meinte, ich solle heute noch nicht am Sport teilnehmen."
"Ok, dann haben Sie hier nichts zu suchen", gab er nüchtern zurück.
"Miss Kranegrova?", fragte jemand hinter mir am Eingang.
"Ja?"
"Kommen Sie mit", bat mich der junge Mann und deutete hinter sich den Gang hinunter.
Ich schritt an dem Mann vorbei und wartete bis er weiter den weg wies. Die Sporthalle ließ ich hinter mir und auch das Trillern von Thomas Pfeife.
"Entschuldigung? Aber wer sind Sie und wo führen Sie mich hin?", fragte ich im Gehen.
Der junge Mann war groß, bestimmt zwei Meter. Er hatte schwarzes, lockiges Haar und stechend grüne Augen. Seine Figur war mehr als muskulös, beinahe bullig. Er war ein Gigant, wirklich, er würde in keinen Schrank reinpassen, egal wie groß.
"Mein Name ist Peter. Direktorin Pierce möchte Sie sehen."
"Okay, hi Peter. Mein Name ist Rose. Wieso möchte mich Direktorin Pierce sehen?"
"Das kann ich Ihnen nicht sagen."
Das war die einzige Kommunikation die zwischen uns stattfand. Den Rest des Weges schwiegen wir uns an. Es dauerte eine weile bis wir zu dem Büro der Direktorin kamen, da es im hintersten Winkel des Gebäudes platziert wurde. Als wir davor standen deutete mir Peter zu klopfen. Ich atmete einmal tief durch und klopfte.
"Herein", ertönte es von innen.
Ich drückte die schwere Holztür auf und trat in das Büro. Hinter dem Schreibtisch, an dem Miss Pierce saß, standen zwei Männer in Anzügen. Links und rechts neben der Eingangstür ebenfalls. Keiner von ihnen achtete auf mich, aber dennoch hatte ich das Gefühl, alle Augen im Raum lägen auf mir.
"Ah, Miss Kranegrova, setzten Sie sich."
Die schlanke Hand von meiner Direktorin deutete auf einen der Stühle vor ihrem Tisch. Sie erhob sich und setzte sich auf die Tischkante direkt vor die beiden Stühle. Miss Pierce war Anfang sechzig. Ihr ehemals rotes Haar war von vielen grauen Strähnen durchzogen und in einen Bop geschnitten. Sie hatte graue Augen und eine gewöhnliche, schlanke Figur.
"Danke", murmelte ich und setzte mich auf den mir angebotenen Platz.
"Wie geht es Ihnen", fragte Miss Pierce.
"Ähm, gut, danke", murmelte ich verwirrt.
Worauf wollte sie hinaus? sollte das hier ein nettes Pläuschchen werden?
"Fünf Jahre, eine lang Zeit, nicht wahr?"
Ihr immer noch nicht ganz trauend und ihr nicht folgen könnend nickte ich.
"Also? Wir war es so?", fragte Miss Pierce, als würde sie sich einfach nur erkundigen wollen, wie es mir ging.
Das glaubte ich aber nicht. So war sie nicht, noch nie gewesen. Alles, wirklich alles, hatte bei ihr einen Hintergedanken, einen Haken. Das würde hier nicht anders sein.
"Okay", meinte ich.
"Es war sicherlich schwer, nach dem Tod deiner Eltern von vorn anzufangen?", fragte sie.
"Ja."
"Aber du hast es geschafft und jetzt sie dich an", lächelte sie und boxte mir, beinahe freundschaftlich, gegen die Schulter.
"Miss Pierce, wir beide wissen, dass sie etwas ganz anderes von mir wollen. Wieso kommen Sie nicht zum Punkt?"
Ja, ich war wahrscheinlich etwas unhöflich oder auch respektlos, aber ich hatte keine Lust auf diese Spielchen.
"Nana", schalte sie mich. "Wie auch immer. Rose, Sie waren nun fünf Jahre weg. Wir wissen nicht wo überall, und es interessiert auch nicht. Aber was uns interessiert sind Ihre Verletzungen. Wo haben Sie diese Verletzungen her?"
"Wieso ist das wichtig?", fragte ich.
"Beantworten Sie die Frage."
"Beantworten Sie meine Frage", gab ich zurück.
"Vorsicht, Miss Kranegrova. Sie mögen zwar wieder hier zur Schule gehen, aber es kostet mich nicht mal einen Anruf und Sie fliegen hier im hohem Bogen wieder raus. Haben Sie das verstanden?"
"Ja", antwortete ich durch zusammen gebissene Zähne.
"Ich frage Sie erneut: Woher stammen Ihre Verletzungen?"
"Das geht Sie gar nichts an", knurrte ich.
Beide funkelten wir und feindselig an. Toller Start Rose, wirklich toll!
"Miss Kranegrova, ich bin Ihre Direktorin und ich erwarte den gebührenden Respekt."
"Bei allem Respekt Miss Pierce, beantworten Sie mir meine Fragen und ich beantworte Ihre."
Das Ganze artete in eine Art Blickduell aus, aber keine von uns wollte nachgeben.
"Schön", bemerkte meine Direktorin, sichtlich verärgert. "Sie können gehen."
"Wirklich?"
"Ja, gehen Sie."
"Entschuldigen Sie, Direktorin Pierce, aber Miss Rose hat zur Zeit keinen Unterricht, da Sie am Sport nicht teilnehmen darf, dank besagter Verletzungen", bemerkte einer der Männer im Anzug.
Ich starrte ihn nieder. Was sollte das? Wieso verriet er mich.
"Na wenn das so ist. Bringen Sie sie raus zum Bogen schießen, das sollte sie ja wohl hinbekommen."
Miss Pierce setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch und schrieb an irgendetwas weiter, per Hand versteht sich.
"Miss Rose", deutete einer der Männer eine kleine Verbeugung an und löste sich von der Wand.
Er blieb vor mir stehen und wartete auf eine Reaktion. Ob er meinerseits ebenfalls mit einer Art Verbeugung rechnete, konnte ich nicht sagen, aber mein Nicken musste ihm genügt haben. Direkt danach machte er sich auf den Weg zur Tür und hielt sie mir offen.
"Ach, und Rose?", rief Direktorin Pierce mir noch nach, sodass ich mir zu ihr umdrehte.
"Wir sind noch nicht fertig."
Damit schritt ich aus der Tür, fuchsteufelswild und voller rasender Wut. Wer war diese Frau? Was bildete die sich eigentlich ein?
"Hier entlang", sprach der Mann und ging den Gang vor mir schon hinab, ohne sich nach mir umzudrehen.
Schnell versuchte ich ihn einzuholen und Schritt zu halten, aber mit seinen extrem langen Beinen und dem schnellen Schritt, joggte ich mehr, als das ich ging. Er bemerkte es und verlangsamte seine Schritte. Dankbar fiel ich in sein Tempo mit ein und ließ mich von ihm führen. Er brachte mich hinaus zur Laufstrecke. 
Auf dem Feld der Laufstrecke waren quer mehrere Zielscheiben aufgestellt worden und Schüler standen bewaffnet mit Pfeil und Bogen am anderen Ende., den Scheiben gegenüber. Ich schätze die Entfernung auf gute zwanzig Meter, aber das konnten genauso gut dreißig oder fünfzig sein. Im Schätzen war ich schon immer schlecht gewesen, vor allem was Entfernungen anging. 
"Miss Carson!", rief der Mann neben mir.
Sein plötzliches Ausrufen erschreckte mich derart, dass ich einen Satz machte. Eine Frau mittleren Alters schaute auf und winkte uns zu sich heran. sie wollte anscheinend nicht ihren Posten verlassen. Als wir vor ihr standen, sprach sie.
"Ja?"
"Direktorin Pierce schickt Ihnen Rosalia Kranegrova", bemerkte der Mann und deutete auf mich.
Ah, ich hasste es, wenn Menschen meinen vollen Namen benutzen, zumindest die einfache Version. Man sollte meinen Rosalia Kranegrova sei schon genug, aber nein, meiner Eltern verpassten mir auch noch zwei weitere Vornamen.
"Aha, und was soll ich mit ihr?", fragte Miss Carson.
Autsch. Ich muss zugeben, dass hat schon etwas weh getan.
"Sie soll lernen mit Pfeil und Bogen umzugehen", machte der Mann klar.
Er nickte Miss Carson einmal zu und machte ohne ein weiteres Wort kehrt. Die Frau vor mir beäugte mich.
"Hallo, mein Name ist Miss Carson", streckte sie mir die Hand entgegen.
"Rose", nahm ich ihre Hand an.
"Ok, Rose, ist es ok, wenn ich du sage?" Ich nickte. "Du bist neu hier. Zu aller erst musst du wissen -"
"Ich bin nicht neu", unterbrach ich sie.
"Bitte?", fragte sie und hob beide Augenbrauen.
"Ich bin schon mal auf dieser Schule gewesen und jetzt eben wieder da."
"Hmm, so etwas hat es noch nie gegeben."
"Ich weiß", grinste ich halbherzig und tat so, als wäre das etwas Gutes, was es definitiv nicht war.
"Na schön, hast du schon mal einen Bogen in der Hand gehabt?"
"Ja."
"Hmm, okay super. Dann wirst du einfach zusammen mit den anderen üben. Allerdings habe ich keinen Bogen mehr. Du wirst dir also einen teilen müssen."
"Äh, ok", bemerkte ich.
Wahrscheinlich würde der oder die Unglückliche auch noch meckern, weil wir uns einen Bogen würden teilen müssen. Super. 
"Gut, siehst du den Jungen da ganz hinten? Er ist mein bester Schüler, ihm sollte es nichts ausmachen, weniger üben zu können, als die anderen. Geh einfach zu ihm und sag ihm, ich habe dich geschickt."
"Danke", meinte ich.
Ich konnte den Jungen nicht ganz erkennen. Er stand am Ende der Reihe von Schülern, also wurde mir die Sicht auf ihn etwas genommen. Mehrere Male versuchte ich einen Blick auf ihn zu erhaschen, während ich auf ihn zu ging, aber ich sah immer nur seinen Rücken. Zumindest bis ich direkt vor ihm stand. Er bemerkte mich nicht, also räusperte ich mich.
"Entschuldige. Miss Carson schickt mich. Wir sollen uns deinen Bogen teilen."
Wir sollen uns deinen Bogen teilen? Was war nur los mit mir? Der Junge gluckste und schoss den Pfeil geradewegs in die Mitte der Zielscheibe. Er ließ den Bogen sinken und drehte sich zu mir um.
Ach du meine Güte! Vor mir stand nicht nur irgendein Junge, nein, vor mir stand Sam. Auch er erkannte mich und grinste mich an.
"So, so, du willst also Bogen schießen?", fragte er mich.
"Sieht so aus", verschränkte ich die Arme vor der Brust.
Es brachte ihn nur noch mehr zum Lachen.
"Bitte, bitte. Das würde ich nur zu gern sehen."
Er reichte mir den Bogen und besorgte mir netterweise einen Pfeil.
"Du weißt, wie man das macht?", fragte er und hob eine Augenbraue.
Ohne ihm zu antworten, verdrehte ich die Augen und stellte mich auf die Markierung. 
"Überanstrenge dich nicht. Nicht das du wieder auf die Krankenstation musst."
Ich konnte es zwar nicht sehen, aber ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören. Ohne weiter auf ihn zu achten, konzentrierte ich mich auf Pfeil, Bogen und Zielscheibe. Den Bogen zu spannen, bekam ich hin, das Anvisieren fiel mir weitaus schwerer. Sam gesellte sich nun in meinem Blickfeld und ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Dieses bescheuerte Grinsen in seinem Gesicht, machte das Ganze auch nicht gerade besser. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, und ließ einfach los. Der Pfeil schoss durch die Lust und traf die Zielscheibe. Allerdings nicht in der Mitte, sondern im dritten von fünf Ringen.
"Nicht schlecht", bemerkte Sam.
"Danke", nuschelte ich.
Unwillkürlich spürte ich wie meine Wangen rot wurden. Was war nur los mit mir, ich kannte den Kerl doch gar nicht! Außerdem war das ein mieser Schuss gewesen. Ich musste mich besser konzentrieren.
"Nochmal", forderte Sam mich auf und reichte mir einen Pfeil.
Ein wenig verblüfft, nahm ich den Pfeil an und spannte den Bogen. Ich versuchte meine Atmung zu verlangsamen und regelmäßiger werden zu lassen. Warten, zielen und treffen. Plötzlich spürte ich eine Hand an meiner Hüfte und vor Schreck ließ ich den Pfeil los schnellen. Hinter mir hörte ich es glucksen und die Hand blieb an meiner Hüfte und eine weitere kam dazu.
"Eigentlich wollte ich dir gerade helfen, die Mitte zu treffen, aber das schaffst du anscheinend auch ganz gut alleine", grinste Sam hinter mir.
"Man, hast du sie noch alle?", regte ich mich auf und drehte mich zu ihm um.
Seine Hand blieb während meiner gesamten Umdrehung an meinem Körper und wanderte von der einen Seite meiner Hüfte zur anderen. Hatte er vorher auch schon so nah gestanden?
"Entschuldige", gluckste er.
"Ach, und das war's damit für dich?", regte ich mich weiter auf. "Man, ich hätte sonst wen treffen können!"
"Hast du aber nicht, du hast genau ins Schwarze getroffen", grinste er süffisant und deutete mit dem Kopf hinter mich.
Ich drehte mich um und tatsächlich, er hatte recht. Der Pfeil steckte in der Mitte der Zielscheibe. Ein breites Lächeln legte sich auf meine Lippen. Das sollte man mir erst mal nach machen! Sams Hand an meiner Hüfte malte auf einmal kleine Kreise über meinem Knochen.
"Entschuldige, was tust du da?", fragte ich und sah wieder zu Sam.
Was für Augen! Sie waren so dunkel, dass man die Pupillen nicht mehr ausmachen konnte und ich darin hätte ertrinken können. Anstatt zu antworten grinste er und hob eine Augenbraue.
"Sam", warnte ich und wollte einen Schritt zurück treten.
Aber er ließ mich nicht, stattdessen zog er mich mit einem Ruck zu sich ran, sodass ich gegen seine Brust stieß.
"Ah!", stieß ich keuchend aus.
Er hatte zu doll an meiner Hüfte gedrückt und Schmerz durchfuhr sie. Nicht so schlimm, wie erwartet, aber deutlich spürbar. Sofort schnellte meine Hand an meine Hüfte und auf Sams Hand.
"Was ist?", fragte Sam besorgt und sah mich besorgt an.
Ich schob Sams Hand von meiner Hüfte und hob mein Oberteil an, um zu sehen, ob ich blutete oder nicht. Das Pflaster war noch weiß, kein Blut. 
"Apropos" Sam strich sanft über meine Hüfte. "Was ist da passiert?"
"Nichts", meinte ich, schob seine Hand weg und zog mein Top wieder zurecht.
Doch er schob seine Hand wieder - zu seinem Glück über dem Top - auf meine Hüfte und strich darüber.
"Was ist passiert?", fragte er erneut.
"Nichts", keifte ich mit Nachdruck und stemmte mich gegen ihn.
Sein Griff verstärkte sich nur noch. Wieder zog er mich an sich, doch anstatt an der Hüfte, verschränkte er seine Hände über meinem Steißbein. Egal wie vehement ich mich wehrte, sein Griff verschlimmerte sich nur und ich war gefangen.
"Oh", stöhnte ich genervt. "Was?!"
"Was. Ist. Passiert?", wiederholte Sam nachdrücklich Wort für Wort.
"Nichts", sagte ich direkt in sein Gesicht.
"Rose, was ist da gestern passiert?"
Sein Blick war wild und unnachgiebig. Er hatte mich zwar aus dieser Situation gestern, wenn man wollte, gerettet, aber das gab ihm noch lange nicht das recht sich so zu verhalten.
Aber anstatt mich darüber aufzuregen, fiel mir etwas ganz anderes auf.
"Woher kennst du meinen Namen?"
"Hmm?", fragte er aus der Bahn geworfen.
"Woher du meinen Namen kennst?"
Er schien zu begreifen, was ich meinte und sein für ihn typisches Grinsen kehrte zurück.
"Woher kennst du meinen?", grinste er.
Wenn ich zugab, dass ich ihn von July hatte, müsste ich ebenfalls zugeben, dass ich mich nach ihm erkundigt hatte. Direkt hatte ich das zwar nicht, aber dennoch würde es so aussehen. Also Plan B.
"Aus Mr Brooks Unterricht."
"Ah, nein, leider falsch. In besagtem Unterricht wurde nur mein Nachname erwähnt. Hast du dich nach mir erkundigt?", grinste er schelmisch.
Wie selbstverliebt war dieser Kerl eigentlich?
"Nein", stritt ich ab. "Wieso? Du?"
"Ja."
"Wie bitte?", fragte ich erstaunt.
"Ja, ich habe mich nach deinem Namen erkundigt, Rosalia."
Er sah mir tief in die Augen und strich mir eine Strähne meines Haares aus dem Gesicht hinter mein Ohr. Wow, was war hier los? Vom selbstverliebtem Macho zu so was?
"Wieso?", fragte ich.
"Ich wollte deinen Namen wissen", zuckte er die Schultern.
"Welchen Namen kennst du?"
"Wie viele hast du denn?", fragte er verwirrt, und lachte kurz auf.
Ich zuckte die Achseln und wartete auf eine richtige Antwort.
"Rosalia Kranegrova", meinte er.
Zufrieden seufzte ich.
"Ist das nicht dein richtiger Name?", fragte er mit erhobener Augenbraue.
"Nicht mein voller Name", grinste ich.
"Schüler, herkommen!", grölte Miss Carson über den Platz.
Beide zuckten unsere Köpfe sofort in ihre Richtung. In was für einer Trance ich auch immer gewesen sein mag, nun erwachte ich aus ihr, befreite mich aus Sams Griff und ging mit den anderen Schülern zur Lehrerin.
Nach Pfeil und Bogen ging es weiter mit Zielwürfen von Dolchen und Speeren, glücklicherweise gab es davon genug, so dass ich allein trainieren konnte. Das Mittagessen kam schneller als erwartet und unsere Gruppe löste sich auf.
Da ich mich weder umziehen musste, noch helfen sollte die Geräte weg zu bringen, war ich eine der ersten im Speisesaal. Die Essensschlange war kurz und ich hatte schnell mein Essen. Wie früher saß man hier wahrscheinlich immer am selben Tisch, so eine Rangordnung würde es immer geben. Ich wartete also wieder am Tisch, an dem ich auch schon mit July, Mike und Jayden gefrühstückt hatte.
Langsam trotteten auch die anderen Schüler ein. Alle sahen sie ziemlich erledigt aus vom Sport, nur wenige stachen heraus, die vollkommen normal aussahen. Dazu gehörten entweder die sehr sportlichen, überwiegend die Jungen, oder die Barbiepuppen, die alles weg schminkten
"Hey, Rose, schön, dass du wieder da bist", grinste John.
Er und eine Gruppe von Jungs gingen gerade an meinem Tisch vorbei und er zwinkerte mir zu. John war groß und sehr blass. Er hatte dazu auch noch weißblonde Haare, aber sehr dunkle, grüne Augen. Die Kombination war etwas eigenwillig. Er sah nicht schlecht aus, aber auch nicht außergewöhnlich gut. Er sah - für mich zumindest - eher gewöhnlich aus.  
"Hast mich vermisst, he Johnnyboy?", grinste ich zurück.
Er lachte und machte sich mit seiner Gruppe von Dannen. Seine Mitläufer sprachen angeregt mit ihm. "Das war Rose, die Rose", tuschelten sie. Ok, also ging das auch schon unter den Jungen so?
July, Mike und Jayden ließen sich heute anscheinend etwas mehr Zeit. Ich seufzte und stocherte in meinem Salat. Wer aber als nächstes reinkam, ließ meine Hand um meine Gabel verkrampfen. Ich weiß nicht mal wieso genau, aber ich versteifte mich auf meinem Platz. 
Nathan und Emely kamen herein. Nates Arm um Emelys Hüften geschlungen. Beide lachten sie und drückten sich eng aneinander. Hinter ihnen kamen noch zwei weitere Paare und noch zwei Jungen. Ein Pärchen bestand aus einer von Emelys Freundinnen, die ich bei ihr gesehen hatte und Shane, der gestern Nate zur Seite gestanden hatte, bei der Schlägerei im Buzzer.  Das andere Pärchen bestand aus Emelys anderer Freundin und Sam. Die zwei Typen kannte ich auch nicht, aber ich nahm an, dass sie mit Nate oder Sam befreundet waren. 
Emely sah aus wie immer, aber ich sah das sie viel mehr Make-Up aufgelegt hatte als sonst. Sie verwendete es um die dunklen Ringe unter ihren Augen zu kaschieren, aber man sah sie dennoch leicht, wenn man wirklich darauf achtete. Nathan sah wie immer aus, und die beiden trugen ein Shirt in hellgrün. Auf Emelys stand „Best Girlfriend Ever“ und auf Nathans „Best Boyfriend Ever“. Ich persönliche mochte solche Shirts nicht, aber jedem das seine. Und ich fand zu Emely passten gerade solche Sachen. Unweigerlich lächelte ich bei dem Gedanken.
Shane, der Rotkopf, war heute vollkommen in schwarz gekleidet was die Aufmerksamkeit auf seine Haare zog. Emelys Freundin war sein exaktes Gegenteil. Sie war in einem roten Kleid, was im starken Kontrast zu ihrer hellen Haut und ihrem schwarzen Haar stand. 
Sam hatte sich seit heute früh nicht mehr umgezogen, aber seine Haare waren feucht, was mich annehmen ließ, dass er geduscht hatte. Das Mädchen neben ihm, dass seine Hand in einem Klammergriff festhielt sah aus wie eine Barbiepuppe. Sie hatte langes blondes Haar, sehr hell, beinahe schon weiß und eindeutig gefärbt, da ihr Ansatz dunkler war. Es fiel ihr kerzengerade den Rücken hinunter. Sie trug kein pink, was mich ehrlich gesagt wunderte, dafür aber einen sehr kurzen Rock, der hier gerade über den Hintern reichte, und das wiederum, schien mir angemessen für ihr Auftreten. Auch ihren Namen kannte ich nicht.
Nach kurzen drei oder vier Schritten, die die Gruppe in den Speisesaal gemacht hatte, blieb Emelys Blick an mir kleben. Auch sie versteifte sich und blieb stehen. Nate sah erst sie verwundert an und folgte dann ihrem Blick zu mir. Alle anderen ihrer kleinen Gruppe taten es den beiden nach. Selbst aus der Entfernung konnte ich sehen wie sich in Emelys Augen Tränen sammelten. Sobald sie mich sah, wand sie sich aus Nate Arm. Er sah sie einerseits verletzt, andererseits auch zornig an, doch sie beachtete ihn nicht. Schnell wanderte auch sein Blick wieder zu mir. Das Mädchen das neben Sam stand, sagte irgendetwas und Emely drehte sich zu ihr um. Sie sagte noch mehr und schien Emely dadurch wieder zu neuer Fassung zu verhelfen. Emely straffte ihr Rückgrat durch und stolzierte zur Essensausgabe. Als Nate aber wieder einen Arm um sie legen wollte, hielt sie ihn davon ab.
"Na, wovon träumt dein süßer Kopf jetzt?", fragte Jayden und ließ sie direkt vor mir auf den Stuhl fallen.
Er versperrte mir die Sicht auf Emely, Nate und die anderen und ich wurde aus meiner Trance wieder herausgerissen.
"Was?", fragte ich deshalb vollkommen perplex.
Mike ließ sich neben Jayden fallen und July trat an meine Seite.
"Du bist so glücklich", maulte July. "Wir mussten heute über eine Mauer klettern. Die war über zwei Meter hoch und spiegelglatt, keine Hilfsmittel!"
Stöhnend ließ July sich auf den Stuhl fallen und ihr Kopf landete auf der Tischplatte.
"So schlimm, ja?", lachte ich.
"Hey, nicht witzig", knurrte mich July an und setzte sich wieder aufrecht hin.
"Und bei dir?", fragte Mike. "Was hast du gemacht? Und was ist überhaupt mit dir? Wie geht's dir? Ist es was ernstes? Durftest du deshalb heute nicht mitmachen?"
"Mike, jetzt lass sie doch mal auf eine Frage antworten", lachte Jayden.
Wir grinsten uns an und Mike versteckte schnell sein rot werdendes Gesicht. Es war ja irgendwie schon niedlich, wie er so rot wurde.
"Also: Ja, ich hab heute nicht mitgemacht, wegen meiner Hüfte. Die musste nämlich genäht werden, aber sie schmerzt nicht mehr so, wenn man sie in Ruhe lässt. Mir geht's also gut, was das betrifft. Und während ihr schöne Wände hoch laufen musstet, durfte ich mit Pfeil und Bogen und dergleichen durch die Gegend schießen."
"Echt?", fragte Jayden mit großen Augen.
Ich grinste zufrieden und nickte. Jetzt da die anderen auch da waren begann ich meinen Salat tatsächlich zu essen und nicht nur darin herumzustochern
"Wow, cool", hauchte er ehrfürchtig
"Jetzt mal im Ernst: Was machen die hier mit uns?", fragte July in die Runde.
"Was meinst du?", erwiderte Mike mit vollem Mund.
"Wofür lernen wir all das? Wieso haben wir den ganzen Vormittag Sport, wo andere Sport nur einmal die Woche haben? Wieso müssen wir eine zwei Meter hohe Wand überwinden können? Wieso müssen wir mit Pfeil und Bogen umgehen können? Wieso müssen wir kämpfen können? Und überlegt mal die Schüler ein Jahr über uns, die sollten doch wählen letztes Jahr: Die einen lernen wie man einen Computer auseinander nimmt, die anderen ein Auto, die nächsten einen Panzer. Wieder anderen wird beigebracht wie sie mit Hilfe von wenigen Chemikalien sonst was anstellen können und die anderen wie man einen Fahrstuhl zur Bombe umbaut. Ich frage mich langsam echt, was das all hier soll!"
July redete sich immer mehr in Rage und ihre Stimme gewann immer mehr an Volumen und Lautstärke. Zum Glück zügelte sie sich genug, dass es nicht der ganze Raum mitbekam.
All diese Fragen hatte sich wahrscheinlich jeder von uns schon gestellt. Wir alle hatten auch schon nachgefragt, aber nie antworten erhalten. Ob wir irgendwas später mal erfahren würden, wussten wir auch nicht. Nicht mal die Abschlussklasse wusste, was für einen Abschluss genau sie bekamen und was danach werden würde. Wofür genau wir ausgebildet wurden und was wir später machen würden.
"July, du weißt, dass niemand von uns das weiß. Wir müssen damit leben, wie es ist", erwiderte Mike, als wäre er der Lehrmeister von uns allen.
"Hat er das gerade wirklich gesagt?", fragte mich Jayden.
Ich schüttelte nur grinsend den Kopf und aß weiter.
"Was? Selbst ich hab meine Momente", grinste Mike, sichtlich stolz auf sich selbst.
"Ich hab aber keine Lust mehr ständig zu hören, dass ich das noch lernen würde", schnaubte July. "Ich möchte jetzt wissen, wofür ich das alles können soll! Soll ich ein verdammter Spion werden, oder was?"
"Ah, ich denke nicht", meinte Mike und legte einen Finger ans Kinn. "Dafür hätten wir bestimmt so was wie Abhörtechniken lernen müssen oder wie man sich richtig versteckt. Ran pirschen, suchen, auf der Lauer liegen, so etwas eben. Ich, für meinen Teil, könnte nicht mal zehn Minuten ruhig irgendwo sitzen."
"Kannst du auch nicht", meinte Jayden und zuckte die Schultern.
"Meine Rede", zeigte Mike mit seiner Gabel auf seinen Kumpel.

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