5. It's In The Past


Unbequem. Ich lag sehr unbequem auf einem harten Bett oder eher einer Pritsche. Als Bett konnte man dieses Ding, worauf ich lag nicht bezeichnen. Dennoch nahm ich an, es war ein Bett, da ein Kissen unter meinem Kopf lag und eine Decke über meinem Körper. Wie zum Teufel war ich in dieses unbequeme Bett gekommen? Ich bewegte meine Muskeln und ließ es sofort sein. Wieder spürte ich meine Hüfte und die Wunde.
"Ah", sog ich keuchend die Luft ein.
"Rose?", fragte jemand über mir.
Ich hörte wie sich jemand auf mich zu bewegte und öffnete meine Augen.
"Kalia?", fragte ich verwirrt.
"Rose", meinte sie nun etwas erfreuter. "Wie geht es dir?"
"Wo bin ich?", fragte ich lieber, anstatt zu antworten.
"Auf der Krankenstation und das an deinem ersten Tag." Kalia lachte leise auf. "Ganz die alte, hmm?"
Sie lächelte mich an und ich grinste zurück.
"Wie fühlst du dich?", fragte sie.
"Nicht so besonders", entgegnete ich.
"Kein Wunder", bemerkte Kalia. "Darf ich?"
Sie deutete auf meine Hüfte, die noch unter der Decke verborgen lag. Ich nickte. Kalia nahm die Decke von meinem Körper. Ich lag nur noch in meinem BH auf dieser Pritsche. Man sah all meine Narben und blauen Flecken auf dem Bauch. Auf meinem rechten Beckenknochen war eine große Mullbinde. Kalia legte vorsichtig die Hände an die Klebestreifen und zog das große, weiße Pflaster von meinem Knochen, um die Wunde zu begutachten. Sie war neu vernäht und gesäubert worden. Die blauen Flecken auf meinem Bauch waren nicht mehr so schlimm wie heute Morgen, sie waren nicht mehr so dunkel und manche waren schon gelb und fast vollends verheilt.
"Wie lange liege ich hier schon?", fragte ich Kalia.
"Ungefähr elf Stunden."
Das war weniger als ich erwartet hatte. Mein Gesicht musste ziemlich nachdenklich ausgesehen haben, denn Kalia ergriff wieder das Wort.
"Ich habe dir eine Heilsalbe gegeben für deine anderen ..." Sie atmete tief durch. "Verletzungen."
"Danke", murmelte ich und wich ihrem strafenden Blick aus.
Wieder seufzte Kalia.
"Deine Hüfte ist am Schlimmsten in Mitleidenschaft gezogen worden. Deine Nase hat eine Prellung abbekommen, aber die ist nicht so schlimm. Einige deiner Prellungen am Rücken haben sich verschlimmert, aber auch das haben wir im Griff."
"Ok", nuschelte ich.
"Rose, woher hast du diese Prellungen und Narben?", fragte Kalia streng.
Ich zuckte die Schultern.
"Das ist nicht mehr wichtig", wich ich aus.
"Rose", forderte Kalia.
"Es ist nicht mehr wichtig, ok?", fragte ich genervt. "Mir geht's gut."
"Rose, du weißt du kannst dich mir anvertrauen. Ich denke du solltest wirklich -"
"Mir geht's gut", unterbrach ich sie mit Nachdruck.
Es blieb eine Weile still, in der Kalia mich einfach nur ansah und ihre Möglichkeiten abzuschätzen schien.
"Schön."
"Rose!", kreischte July irgendwo hinter Kalia.
Zum ersten Mal bemerkte ich meine Umgebung. Ich war in einem einzelnen Raum. Dieser Raum war klein und weiß. Hier stand nur das Bett auf dem ich lag, links und rechts jeweils ein Stuhl und ein kleiner Tisch, darauf ein Telefon. Sonst war nichts in diesem Raum, keine Fenster, keine Bilder. Eine Tür und eine Lampe, dass war's. Kalia trat von meinem Bett und ich sah July, wie sie auf mich zu stürmte Sofort schlang sie ihre Arme um mich und ich keuchte vor Schmerz.
"Oh mein Gott, entschuldige!", rief sie und ließ von mir ab.
"Schon ok", murmelte ich und ließ mich wieder in die Kissen sinken.
"Was tust du hier?", fragte ich. "Es ist mitten in der Nacht."
"Na und?", fragte sie empört. "Na hör mal, ich konnte dich doch nicht allein lassen!"
"Danke", lächelte ich July an.
"Außerdem musste ja irgendwer die Trottel von dir fernhalten", lachte July.
"Die sind hier?", fragte ich.
"So ist es", seufzte sie.
Hinter July sah ich, wie Kalia den Raum verließ. In dem kurzen Moment, in dem die Tür offen war, konnte ich Jayden, Mike und Nate sehen, wie sie diskutierten.
"Sam hat ihnen zwar gesagt, sie sollen verschwinden, aber sie hörten nicht auf ihn und irgendwann wurde es ihm zu dumm."
"Warte mal, warte mal, warte mal!", unterbrach ich sie. "Sam?"
"Ja, Sam."
July zuckte die Schultern und sah mich verwirrt und fragend an.
"Er hat dich hergebracht."
"Das war Sam?"
"Ja, hast du das nicht mitbekommen?"
"Nein", schüttelte ich den Kopf.
"Oh naja, wie auch immer. Jayden, Mike und Nate sind sich an die Gurgel gegangen und Sam ist dann dazwischen gegangen. Er hat dich hergebracht und dafür gesorgt das die Streithähne draußen blieben. Dann ist er gegangen."
"Oh."
Ich sah an mir hinab.
"Äh, July?"
"Hmm?"
"Hat er mich so gesehen?", fragte ich und deutete auf meinen freien Oberkörper.
Dann nahm ich mir wieder die Decke und deckte mich damit zu.
"Oh, ähm." 
Verlegen sah July auf die Bettdecke und spielte damit zwischen ihren Fingern.
"Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt."
"Warst du nicht hier?", fragte ich.
"Naja, doch", nuschelte sie. "Aber ich habe nicht auf dich geachtet."
"Du willst mir sagen du hast auf Sam geachtet?", lachte ich.
Sich schämend sah sie auf die Bettdecke und wurde so rot wie eine Tomate.
"Entschuldige", nuschelte July.
"Schon ok", lachte ich.
Lächelnd sah sie mich wieder an.
"Danke."
"Weißt du, wann ich gehen darf?"
"Kalia meinte sobald du wach bist."
"Perfekt", freute ich mich und warf die Decke von mir, um aufzustehen.
"Wow, du willst jetzt gleich gehen?", fragte July.
"Ja klar, wieso nicht?"
"Naja, du siehst noch ziemlich schwach aus und ich dachte du würdest nicht wollen, dass alle" Sie schluckte und deutete auf meine blauen Flecke. "die sehen."
Stimmt, meine blauen Flecken hatte ich total vergessen. Mist!
"Wo ist mein Top?"
"Zerschnitten, da mit man an deine Wunde besser ran kam. Der Stoff klebte an deiner Haut, ansonsten hätte man es einfach hoch schieben können."
Zerknirscht blickte ich mich Raum um. Hier war nichts, was man hätte als Oberteil benutzen können.
"Warte, ich hab da eine Idee", meinte July und ging aus dem Raum.
Sie öffnete die Tür so, dass ich nicht hinaussehen konnte und auch keiner hinein. Nach kurzer Zeit kam sie wieder herein.
"Hier", grinste sie und warf mir etwas grünes zu.
Ich fing es auf und entfaltete das Bündel. Es war ein Hemd.
"Es ist Mikes. Er hatte ein T-Shirt drunter an", zuckte July die Achseln.
"Gute Idee, danke", lächelte ich und schlüpfte in die Ärmel.
Die Knöpfe machte ich schnell zu und war bereit zu gehen. Doch gerade als meine Hand die Klinke betätigen wollte, umfasste July mein Handgelenk.
"Rose." Ich begegnete ihrem Blick. "Was ist mit dir passiert?"
Ihr Blick bohrte sich in meinen.
"July", schüttelte ich entschuldigend den Kopf.
"Rose, du musst es mir sagen", beharrte sie.
"July, bitte. Nicht hier, nicht jetzt."
Sie atmete tief ein und nickte. July ließ mein Handgelenk wieder frei und ich drückte die Klinke hinab. Dann trat ich durch die Tür. Auf drei von den fünf Wartestühlen vor mir saßen Mike, Jayden und Nate. Als sich die Tür öffnete hoben sie alle den Blick.
"Rose", hauchten alle aus einem Mund und erhoben sich schnell.
Alle kamen sie auf mich zu geeilt, aber ich erhob beide Hände, um sie von mir fernzuhalten.
"Nicht", wisperte ich.
"Wie geht's dir?", fragte Nate.
"Besser, aber nicht dank dir", keifte July hinter mir.
Sie legte einen Arm um meine Schultern und umfasste mit der anderen Hand meinen Oberarm. Dann führte sie mich an den Jungen vorbei und in Richtung Ausgang.
"Wartet, was ist mit -"
July drehte sich wahnsinnig schnell um und funkelte die Jungen in Grund und Boden. Schnell führte sie mich aus der Tür. Die Krankenstation war im eigentlichen Hauptgebäude. In dem Gebäude war um diese zeit keiner unterwegs und auch das Schulgelände war verlassen. Im Gemeinschaftsraum trennten sich Julys und meine Wege. Sie begab sich in ihren Flügel um wenigstens noch ein bisschen Schlaf zu bekommen und ich tat dasselbe. In meinem Zimmer machte ich mir nicht die Mühe mich irgendwie umzuziehen. Meine Schuhe zog ich noch aus und fiel dann in voller Montur ins Bett und schlief sofort ein.
Da ich so früh in der Nacht ins Bett kam, erhielt ich wenig Schlaf. Gerade mal drei Stunden. Mein morgendliches Programm war ziemlich verkürzt. Duschen konnte ich nicht, mit dem Pflaster auf meiner Hüfte und folglich auch nicht meine Haare waschen. Dadurch gewann ich eine halbe Stunde plus Föhn zeit von ebenfalls einer halben Stunde. Das Anziehen ging heute morgen irgendwie auch schneller. Innerhalb von wenigen Minuten hatte ich mich für dunkelblaue Skinnyjeans und ein graues T-Shirt entschieden und schnell angezogen. Dennoch hatte ich jetzt also eine Stunde mehr Zeit. Joggen wollte ich noch nicht wieder, aber ich überlegte dennoch zur Laufstrecke zu gehen, um Sam zu begegnen. Nein, dass kam mir etwas armselig vor. Was also mit der Extrazeit anstellen? Ich entschied mich noch einmal zur Krankenstation zu gehen, um zu erfragen, ob ich heute wieder Sport machen konnte. Der Campus war leer. Niemand war wach und alles schlief noch. Auf der Laufstrecke sah ich Sam seine Runden drehen. Ich lief an ihm vorbei hinein ins Hauptgebäude. In der Krankenstation leuchtete schon Licht und ich klopfte an die Tür.
"Ja?", ertönte es von innen.
Die Tür öffnete sich und eine junge Frau sah mich aus hellen Augen an.
"Kann ich Ihnen helfen?", fragte sie lächelnd.
"Ich wollte nur noch mal meine Hüfte untersuchen lassen."
"Miss Kranegrova?", fragte die Frau.
Etwas verwirrt nickte ich.
"Kalia berichtete mir bereits, Sie würden kommen", lächelte sie.
Sie öffnete die Tür etwas weiter und deutete mich hinein. Lächelnd ging ich an ihr vorbei.
"Setzten Sie sich doch bitte und machen Sie ihre Hüfte frei."
Ich setzte mich auf das Bett, auf das sie wies und hob mein Oberteil an.
"Na, dann wollen wir doch mal sehen."
Die junge Frau nahm das Pflaster von meiner Wunde und begutachtete was sie sah. Während sie mich untersuchte war sie still.
"Entschuldigen Sie, aber wer sind Sie?", fragte ich schließlich.
Die Frau lächelte, hob aber nicht ihren Blick von meiner Hüfte.
"Mein Name ist Dr. Kell. Kalia hat mich gestern nur vertreten."
"Was ist mit Dr. Sezzel passiert?", fragte ich.
Als ich das letzte Mal auf dieser Krankenstation war, behandelte mich noch Dr. Sezzel. Er war nicht alt gewesen, Anfang vierzig höchstens
"Autounfall", meinte Dr. Kell grimmig.
Irgendetwas an ihrem Ton ließ mich zweifeln. Mein Bauchgefühl sagte mir, sie log und Dr. Sezzel war auf keinen Fall bei einem Autounfall gestorben. Von meinen Bedenken ließ ich mir aber nichts anmerken.
"Oh", meinte ich. "Das tut mir Leid."
Sie winkte ab und richtete sich - nun lächelnd - wieder auf.
"Ihre Hüfte sieht gut aus. Sie ist beinahe wieder vollends verheilt. Die Fäden werden sich selbst auflösen, also müssen wir sie nicht ziehen. Am Sportunterricht können Sie heute jedoch nicht teilnehmen Achten Sie den Tag bitte darauf, ihre Hüfte nicht zu sehr zu belasten. Haben Sie das verstanden?"
"Ja, danke."
"Gut, dann können Sie wieder gehen, wenn Sie wünschen. Oder gibt es sonst noch etwas?"
Eigentlich wollte ich verneinen, aber da fiel mir etwas ein. Die Salbe, die Kalia mir gestern gegeben hatte und durch die meine blauen Flecken beinahe weg waren und das innerhalb eines Tages, nicht mindestens einer Woche.
"Ähm, ja, doch bitte", bemerkte ich verlegen. "Kalia hat mir gestern eine Salbe gegen meine blauen Flecken gegeben. Könnte ich davon etwas bekommen, bitte?"
Dr. Kell beäugte mich skeptisch. Sie ließ ihre Augen über mich wandern. Durch meine Jeans konnte sie meine blauen Flecken auf den Beinen nicht sehen. Durch die Jacke, die ich mir übergeworfen hatte, konnte sie die an Armen, Schultern und Rücken nicht sehen. Die am Bauch waren kaum noch sichtbar, dank der Salbe um die ich jetzt bat.
"Wofür?", fragte Dr. Kell schließlich.
Seufzend stand ich auf und zeigte ihr den unteren Teil meines Rückens. sie keuchte kurz auf und sofort waren ihre Hände an meinem Rücken.
"Wie ist das passiert? Haben Sie davon noch mehr?"
"Ein paar, ja. An Armen, Schultern und Beinen."
"Du meine Güte", hauchte Dr. Kell hinter mir.
Ich zog mein Shirt wieder hinunter und drehte mich um. Dr. Kell nahm ihre Hände wieder zu sich und sah mich aus großen Augen an.
"Woher stammen diese Verletzungen?", fragte sie schließlich.
Währenddessen ging sie hinter ihren Schreibtisch und suchte etwas auf den Regalen an der Wand dahinter.
"Ich bin gestürzt", zuckte ich die Schultern.
Dr. Kell fand eine Tube und zog sie hervor, drehte sich wieder zu mir um und kam auf mich zu.
"Woher haben Sie diese Verletzungen?", wiederholte sie.
"Ich sagte doch bereits, ich bin -"
"Definitiv nicht gestürzt", unterbrach mich die Ärztin. "Diese Verletzungen könnten höchsten von einem Sturz aus dem vierten oder fünftem Stock stammen und so einen Sturz hätten Sie wohl kaum nur mit blauen Flecken überstanden. Also? Wollen Sie mir nun die Wahrheit sagen und diese Salbe oder nicht?"
Sie wedelte mit der Salbe vor meiner Nase und zog sie nach ihrer Rede wieder zu sich heran.
"Schön", keifte ich.
Ich sprang vom Bett hinunter und stürmte an ihr vorbei. Sie würde mich sicherlich nicht durch Erpressung dazu bringen, ihr zu sagen, woher ich diese Verletzungen hatte.
"Miss Kranegrova", rief mich die Ärztin zurück.
Kurz vor der Tür drehte ich mich zu ihr um.
"Was?", keifte ich.
Dr. Kell warf mir die Tube mit der Salbe zu.
"Irgendwann sollten Sie mit jemanden darüber reden", riet sie mir. "Denn diese blauen Flecken werden verschwinden, aber ihre Narben nicht."
Sie durchbohrte mich mit ihrem Blick, aber ich sah mit blanker Miene zurück. Von meiner Vergangenheit würde nie jemand erfahren, nicht wenn ich es verhindern konnte. Mit einem letzten Nicken verließ ich die Krankenstation und ging zurück in mein Zimmer.
Ich trug die Salbe großzügig auf und erhoffte mir ein möglichst schnelles Ergebnis. Heute würde ich am Sport nicht teilnehmen können, aber morgen sicherlich wieder. Vielleicht wären die meisten bis dahin wieder verblasst. Zur Sicherheit schmierte ich mir etwas von der Salbe auch nochmal auf meine Nase. Immerhin war ein Ellbogen dagegen geschlagen. Man sah zwar nichts mehr, aber sobald ich sie berührte, schmerzte meine Nase, also könnte es nicht schaden.
Nachdem die gesamte Creme eingezogen war, zog ich mich wieder vollkommen an und packte meine Sachen für den Tag. Mit der Tasche über der Schulter ging ich hinunter in Richtung Speisesaal zum Frühstück. Auf dem Weg dorthin holte July mich ein.
"Guten Morgen", gähnte sie. 
"Guten Morgen", lächelte ich. "Müde?"
"Mm-Mhh", stimmte July zu und nickte.
"Entschuldige."
"Ach quatsch. Wie geht's dir? Du siehst besser aus."
"Danke, mir geht's besser. Ich war eben nochmal auf der Krankenstation."
"Und?"
"Dr. Kell meinte es sähe alles ganz gut aus, aber ich solle den Sport für heute noch weg lassen."
"Uh", stöhnte July. "Du Glückliche."
Ich lachte und gemeinsam gingen wir durch die große Flügeltür in den Speisesaal. Es war noch nicht sehr voll und die Schlange verhältnismäßig kurz.
"Rate mal, wer sich nach dir erkundigt hat?", grinste July schelmisch.
"Jemand erkundigt sich nach mir?", fragte ich.
"Oh ja", nickte July heftig.
"Wer?"
"Oh, Rose, du sollst raten! Das ist doch der Spaß!"
"Entschuldige", kicherte ich über ihre Miene. "Ähm, Mike?"
"Auch, aber den mein ich nicht."
"Jayden?"
"Auch", meinte sie langgezogen.
"Nate?"
"Man, Rose, dass die sich erkundigen ist doch klar", beschwerte sich July und sah mich bockig an.
"Ich weiß nicht wen du meinst", lachte ich.
Innerlich fragte ich mich ob Sam sich vielleicht nach mir erkundigt hatte. 
"Emely", grinste July und unterbrach meine Gedanken über Sam.
"Was?!", kreischte ich.
Wir standen inzwischen in der Essensschlange und alle Menschen um uns herum, drehten sich zu mir um.
"Emely, du meinst -"
July nickte. Emely, meine Emely hatte sich nach mir erkundigt. Also war ich ihr doch nicht egal geworden.
"Bei wem?", fragte ich.
"Nathan", hob July die Augenbrauen.
"Nate?", fragte ich.
"Warte, du weißt es nicht? Das mit ..." 
July ließ den Satz unbeendet und starrte mich fragend an.
"Ich weiß was mit wem nicht?"
"Emely und Nathan."
"Was ist mit den beiden? Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!"
"Nachdem du weg warst, waren beide am Boden zerstört. Verständlich, sie waren die zwei Personen, die dir am Nächsten standen. Deine beste Freundin und dein fester Freund. Beide versuchten sie erst getrennt jeweils dich zu erreichen, sich zu erklären, warum du ohne ein Wort gegangen bist. Dann gaben sie sich gegenseitig die Schuld. Unser Jahrgang teilte sich. Die Einen hielten zu Emely, die Anderen zu Nate. Du hast hier wirklich einen gehörigen Schaden angerichtet mit deinem Weggang."
Sie sprach es zwar nicht direkt als Vorwurf, sondern als Fakt, aus, aber dennoch fühlte ich mich extrem schuldig. Dass mein Weggang solche Auswirkungen annehmen konnte, hatte ich nicht bedacht, hätte ich nie erahnt.
"Irgendwann kamen die ersten Gerüchte über dich. Zeitungsausschnitte, Briefe von außerhalb, so was eben. Also 'Beweise' sozusagen." July malte Gänsefüßchen um das Wort 'Beweise'. "Ich habe dir ja von einigen erzählt, nicht gerade schön. Das Theater mit der Schuldzuweisung begann von Neuem, bis schließlich Gerüchte kamen, in denen du verletzt seist oder schlimmeres. Beide rauften sie sich zusammen, versuchten Näheres von den Lehrern zu erfahren, baten Eltern und Verwandte nachzuforschen, baten darum dich besuchen zu dürfen. Natürlich wusste keiner wo du warst, aber sie wollten nach dir suchen. Dich überreden zurück zu kommen. Aber alles endete im Nichts. Dennoch haben beide immer weiter geforscht, ohne jeglichen Erfolg. In dieser Zeit lösten sich die Spannungen und die zwei Lager lösten sich auf. Emely und Nathan wurden wieder Freunde und durch ihre Arbeit wurden sie schließlich zu mehr. Nächtelanges Recherchieren und die Treffen jeden Tag, da war allen klar, dass es nicht lange dauern würde, bis sie zusammen kämen. Und bis heute sind die beiden immer noch ein Paar. Dein Auftauchen hier hat sie beide vermutlich ziemlich geschockt. Vielleicht fühlen sie sich sogar schuldig."
"Schuldig? Wieso?"
"Naja, weil dein Freund jetzt mit deiner Freundin zusammen ist und deine beste Freundin mit deinem Freund. Offiziell Schluss gemacht habt ihr ja nie."
Ich seufzte.
"Sie sollten sich nicht schuldig fühlen. Ich bin diejenige die an all dem Schuld hat. Außerdem stört es mich nicht. Wenn die beiden glücklich zusammen sind, freue ich mich für sie."
"Es stört dich nicht? Echt nicht? So gar nicht?", wollte July wissen.
Während ihrer Rede hatten wir es geschafft uns unser Essen zu kaufen und einen Tisch im Speisesaal zu suchen, an dem wir nun ankamen und uns setzten. Während ich mich setzte schüttelte ich den Kopf.
"Nein, gar nicht."
"Aber das sollte es!", widersprach July störrisch.
"Wieso?"
"Na weil er dein Freund ist!"
"Nein ist er nicht. Wir haben uns fünf Jahre nicht gesehen. Wir sind nicht mehr zusammen."
"Aber ihr habt doch nie Schluss gemacht."
"Wenn du einen Freund hättest und der ohne irgendein Wort morgen verschwinden würde und du ihn erst nach fünf Jahren wieder sehen würdest. Wäre er dann immer noch dein Freund?"
"Naja, irgendwie schon, schätze ich."
July machte ein zerknirschtes, grüblerisches Gesicht.
"Tu dir nicht weh beim Denken", kicherte ich.
Sie sah einfach zu putzig aus. Leider fand sie das nicht so witzig und schmiss ein Stück Gurke nach mir.
"Mit Essen spielt man nicht", hörten wir die strenge Stimme von Jayden.
"Ja, klar, weil du dich daran hältst", lachte Mike neben ihm.
Beide blieben sie unsicher vor unserem Tisch stehen. July sah mich abwartend an.
"Rose?", fragte Mike.
Ich drehte mich um und sah ihn an. 
"Es tut uns leid, wir haben uns wie Idioten benommen."
"Kannst du uns verzeihen?", fügte Jayden hinzu.
Ich deutete ihnen lächelnd mit dem Kopf sich zu setzten. Den zwei Spinnern konnte ich nicht böse bleiben.
"Für dich", grinste Jayden.
Als er sich neben mich setzte, holte er eine rote Rose hinter seinem Rücken hervor und reichte sie mir. Die Farbe intensiv und dunkel, wie Blut. Sie war wunderschön. Mike, der gegenüber von Jayden und neben July saß, lächelte ebenfalls und hielt mir eine weitere Rose hin.
"Aww, danke Jungs", lächelte ich und nahm beide an.
"Hättet ihr ihr die nicht vorher geben sollen?", fragte July. "Damit sie eure Entschuldigung annimmt?"
"Nein, sie sollte uns ohne Bestechung vergeben", bemerkte Mike.
"Und was hättet ihr mit den Rosen gemacht, wenn ich euch nicht verziehen hätte?", fragte ich und hob beide Augenbrauen.
"Miranda Kellis", zuckte Jayden die Achseln.
"Dawn Montachu", meinte Mike und biss von seinem Sandwich ab.
"Na toll", meinte July und lachte.
"Hey, warum hast du eigentlich eine Gurke nach Rose geworfen?", fragte Jayden nach einer kurzen Pause der Stille.
Unwillkürlich musste ich kichern, als ich mich an Julys Gesicht erinnerte.
"Rose", warnte sie. "Halt bloß den Mund."
Ich kicherte weiter und weiter und konnte einfach nicht aufhören, schüttelte aber den Kopf, damit sie wusste, ich würde es nicht ausplaudern.
"Was?", fragte Mike.
"Nichts", grummelte July.
Sie wollte schnell das Thema wechseln und aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit wieder austreten. Leider wählte sie ein Thema, dass mir gar nicht passte. Nicht wenn Jayden und Mike dabei waren.
"Hey Jungs, wenn ihr an Nates Stelle wärt, würdet ihr euch schuldig fühlen?"
"July", schalte ich sie mit einem strengen Blick und schüttelte den Kopf.
"Wieso?", fragte Jayden.
"July denkt, er und Emely fühlen sich schuldig, weil ich wieder da bin", erklärte ich den beiden seufzend.
"Du weißt, dass ...?" 
Jayden ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen, aber den letzten Teil konnte sich jeder am Tisch denken, also nickte ich lediglich.
"Oh."
"Wieso oh?", fragte ich. "Und wieso seht ihr zwei jetzt aus, als würdet ihr mich total bemitleiden und erwarten, dass ich gleich den totalen Heulkrampf bekomme?"
"Bekommst du nicht?", fragte Mike.
"Nein, wieso denn auch?"
"Na, weil er dein Freund ist."
"Oh", stöhnte ich genervt. "Nicht schon wieder. Nathan ist nicht mein Freund! Unsere Beziehung ist fünf Jahre her, Leute. Fünf!"
"Aber ihr habt doch nie Schluss gemacht."
"Na und? Leute, fünf Jahre kein Kontakt. Da ist doch klar, dass man nicht mehr zusammen ist!"
"Also wenn du fünf Jahre keinen Kontakt zu uns hast, sind wir auch automatisch keine Freunde mehr?", fragte Jayden und hob eine Augenbraue.
"Das kann man nicht vergleichen", widersprach ich.
"Wieso nicht?"
"Man kann Freundschaften nicht mit Beziehungen vergleichen."
"Da hat sie recht", stimmte July mir zu.
"Und sie hat ebenfalls damit recht, dass der Unterricht gleich beginnt."
"Oh, Mist", meinte Mike. "Ich muss noch meine Sachen holen. Bis später."
Und damit rannte er von dannen.
"Und wir sollen ihm jetzt sein Tablett nachtragen?", maulte Jayden.
"Nicht wir, du", grinste July und erhob sich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen